Es ist soweit — der erste Hersteller von „intelligenten Kopfhörern“ hat die Medizinzulassung für Hörgeräte bekommen. Die Rede ist von Apples Airpods Pro 2, die mit der neuesten Firmware um eine Hörgeräte-Funktion erweitert wurden. Was bedeutet das und inwieweit können Kopfhörer wirklich im Alltag ein Hörgerät ersetzen? Seit fast 40 Jahren bin ich mit meiner mittelgradigen Hörbehinderung auf Hörgeräte angewiesen und bin gespannt auf dieses Hörexperiment. Alle Vor- und Nachteile als erfahrener Hörgeräteträger in diesem Beitrag.
Stand 22.11.2024
Airpods Pro 2 – Pro und Contra
+ Positiv
- Einrichtung & Hörtest
- Klang bei Medien & Telefonaten
- Einstellmöglichkeiten
- Geräuschunterdrückung (ANC)
- Kontinuierliches Hörmonitoring
- Konnektivität
- Preis
- Ortung
Unboxing und Updates
Nach dem Auspacken der AirPods Pro 2 wurden passende Silikonaufsätze für einen stabilen Sitz im Ohr ausprobiert. Leider passte keiner der mitgelieferten Aufsätze richtig – die AirPods rutschten ständig heraus. Deshalb habe ich jetzt Anti-Rutsch-Ohrbügel bestellt, in der Hoffnung, dass diese für mehr Halt sorgen.
Als Android-Nutzer ist mir die eingeschränkte Funktionalität der AirPods bewusst. Die komplette Konfiguration, wie den Hörtest oder detaillierte Einstellungen, sind nur über iOS möglich. Also lieh ich mir ein iPad aus der Familie aus. Doch trotz aller Mühe konnte ich die erweiterten Optionen nicht finden. Der Grund? Die Firmware der AirPods war veraltet und musste erst aktualisiert werden.
Leider macht Apple den Update-Prozess der AirPods etwas umständlich. Um die Firmware zu aktualisieren, müssen die AirPods in der Ladebox (mit offenem Deckel) sein, mit einem iOS-Gerät verbunden und gleichzeitig an eine Stromquelle angeschlossen werden. Der Haken daran: Das Update startet nicht manuell, sondern passiert irgendwann automatisch. Jetzt heißt es also abwarten – morgen überprüfe ich, ob die Version sich aktualisiert hat.
+ Einrichtung und Hörtest
Über Nacht spielte sich das Firmwareupdate automatisch ein und in IOS stand die Funktion zum Hörgerät zur Verfügung. Über die Health App wird zunächst ein Hörtest gemacht, wie man es von einem Akustiker und HNO vielleicht kennt. Es werden verschiedene, monotone Frequenzen abgespielt und man tippt auf dem Bildschirm bei Wahrnehmung des Tons. So entsteht ein Audiogramm zur Nutzung der Hörgerätefunktion. Es lässt sich auch manuell ein Audiogramm, z. B. vom Arzt, einpflegen oder abfotografieren.
Wird die „Hörgeräte Funktion“ in den Airpod Pro Einstellungen aktiviert und in den Transparent Modus gewechselt, wird über die Mikrofone in den Airpods die Umgebung entsprechend der Hörkurve verstärkt, so wie bei einem Hörgerät.
DAS IST GENIAL!
Es ermöglicht einer breiten Masse binnen Minuten einen Hörtest und bei Hörverlust sofortigen Zugang zu einem besseren Hörerlebnis !
Aber nicht nur die Umgebung und das Sprachverständnis werden verbessert, auch die Audiowiedergabe von Medien und Telefonaten wird an die eigene Hörkurve angepasst. Der Klang der Airpods ist dabei hervorragend. Ich hatte zuvor noch nie ein so gutes Klangergebnis. Moderne Hörgeräte lassen sich zwar auch als Headsets oder Kopfhörer nutzen. Doch die Klangqualität ist nicht annäherd so gut, weil die Lautsprecher viel kleiner sind und im unteren Frequenzbereich weniger leisten. Der Bass ist also zu schwach ausgeprägt.
– Tragekomfort
Die mitgelierferten Silicontips hielten nicht in meinen Ohren und die Airpods fielen ständig heraus. Mit den In-Ear-Bügeln war das Problem behoben und die Hörer hielten auch bei starken Kopfbewegungen sicher im Ohr. Über den Tag drückten die Airpods jedoch an mehreren Stellen unangenehm im Ohr. Hier sind die Airpods einem Hinter-dem-Ohr Hörgerät unterlegen. Die Gewichtsverteilung über dem Ohr und eine Otoplastik bieten auf Dauer einen viel höheren Tragekomfort. Individuelle Ohrpassstücke (Otoplastiken) gibt es inzwischen aber auch für Airpods, z. B. von Bachmaier.
– Klangqualität als Hörgerät
Die Klangqualität als Hörgerät im Transparentmodus ist der entscheidene Faktor, inwieweit die Airpods ein Solches ersetzen könnten. Und hier bin ich NOCH nicht überzeugt. Die Airpods klingen besser als manch schlecht konfiguriertes Hörgerät kommen aber nicht an die Leistung eines gut Eingestellten. Hier ist auch der entscheidene Nachteil. Es gibt kaum Einstellmöglichkeiten, wie sie beim Hörgerät (für den Akustiker) existieren. Die Ausgabe ist vergleichbar mit einem First-Fit beim Akustiker, aber ein Finetunig der Ausgabe ist kaum möglich. Hier wird Apple sehr wahrscheinlich nachbessern. So könnten durch A/B-Tests Einstellungen vom Träger kontinuierlich verbessert werden. Durch Fragebögen wie „Klang der eigenen Stimme: zu dumpf, zu spitz, zu laut, ….“ wäre eine Optimierung der Verstärkungskurve für Laien möglich. Solche Fragebögen gibt es auch in den Anpassungsprogrammen von Hörgeräten.
– Airpods Pfeifen / Rückkopplungen
Bei einer mittelgradigen Höreinschränkung wird eine entsprechende Verstärkung benötigt. Im Transparentmodus („Hörgeräte-Modus“) kann es so leicht zu Rückkopplungen (Pfeifen) kommen. Die Silicontips der Airpods verschließen den Gehörgang nicht ausreichend. Dies passiert auch bei Hörgeräten, wenn Otoplastiken nicht korrekt sitzen oder eine „offene“ Versorgung bei zu hohem Hörverlust gewählt wurde. Hörgeräte und auch die Airpods erkennen Rückkopplungen und steuern entsprechend dagegen. Das Klangbild wird durch reduzierte Lautstärke, Kompressionen und verzerrter Wiedergabe jedoch deutlich verschlechtert.
Bei Hörgeräten lässt sich die Empfindlichkeit der Rückkopplungserkennung reduzieren bzw. ausschalten. Dies führt zu einem besseren Klangbild da weniger Signalvearbeitung nötig ist. Bei den Airpods lässt sich dies nicht deaktivieren.
Eine „geschlossene“ Anpassung, also individuell angefertigte Ohrpassstücke würden dieses Problem lösen. Es gibt auch viscoelastische Airpod-Aufsätze (wie Memory Schaum bei Ohropax) die das Problem reduzieren dürften. Dies werde ich noch testen und darüber berichten.
+ Klangqualität bei Musik und Telefonaten
Wie eingangs erwähnt, ist die Klangqualität bei Medienwiedergabe für In-Ears sehr überzeugend. Klare Höhen und kräftige, aber nicht überzogene Bässe ergeben ein ausgewogenes Klangbild. Entscheidend für Personen mit Höreinschränkung ist aber die Optimierung des Klanges an den eigenen Hörverlust. Ein Equalizer half hier früher schon etwas, aber war nicht annähernd so präzise. So erlebe ich gerade Musik auf einem ganz anderen Niveau und höre Details, die mir bisher verschlossen blieben.
Telefonate im Stereo helfen deutlich zum besseren Sprachverständnis. Auch das nichts Neues, aber mit der hinterlegten Hörkurve noch einmal deutlich besser.
– Akku Laufzeit & Tausch
Klassische Hörgeräte mit Zink-Luft-Batterien halten je nach Verstärkung und Batteriegröße gut 7-10 Tage bei min. 10-stündiger Nutzungsdauer ohne Bluetooth durch. Immer mehr Hörgeräte werden mit Akkus angeboten. Hier liegt die Nutzungsdauer etwa bei gut 14 Stunden, im Streaming mit Bluetooth-Kopplung aber auch deutlich weniger. Die Airpods Pro 2 kommen nicht über 6 Stunden, auch ohne Bluetooth Verbindung im Transparentmodus. Dies ist im Alltag zu wenig. Airpods nutzen wahrscheinlich eine bidirektionale Kommunikation zwischen beiden Ohren und verkürzen so die Laufzeit. Auch die Signalverarbeitung hat großen Einfluss auf die Laufzeit. Mit Aktivierung aller Funktionen habe ich aber auch Akku-Hörgeräte auf < 7 Stunden Laufzeit reduziert.
Apple könnte mit Feintuning in Software und Akku die Laufzeit der Geräte in zukünftigen Generationen sicher noch verbessern. Wichtig wäre auch ein vernünftiger Akkutausch, der bei den Airpods Pro laut iFixit kaum möglich ist. Hier sollte sich Apple was von den Hörgeräten abschauen, wo sich oft zweiteilige, mit Splinten verbundene, Gehäuseschalen einfach öffnen lassen.
– Akku Ladestatus
Minimalistisches Design hin oder her. Das nicht einmal an der Ladeschale LEDs einen Akkustatus anzeigen ist schwach. Es muss ja nicht gleich ein Display sein, aber nur über ein zusätzliches IOS Gerät den Status einsehen zu können ist nicht nutzerfreundlich. Vier Mini-LEDs für 25, 50, 75, 100% Ladestatus und jeweils eine RGB LED im Deckel für die einzelnen Kopfhörer würden den Komfort deutlich erhöhen. Das können 4 € ! Earbuds aus China besser.
– Nutzung unter Android vs. IOS
Apple Produkte sind bekannt für ihre „Geschlossenheit“. Und so sind auch die Airpods nur sehr eingeschränkt unter Android nutzbar. Nicht einmal der Akkustand ist sichtbar. Jedes Billig-Bluetooth-Gerät kann das. Dafür sollte sich Apple schämen.
Zum Glück lassen sich Lautstärke und Betriebsart der Airpods direkt am Gerät ändern. Welcher Modus aktiviert ist, ist aber nicht sichtbar, nur durch eine Melodie beim Moduswechsel hörbar. Wie Eingangs erwähnt, ist die komplette Einrichtung ausschließlich über IOS möglich. Apple wird kaum eine App für Android zum Einrichten oder Einstellen rausbringen. Das ist Schade, denn mit der Funktionalität sind die Airpods Pro 2 aktuell einzigartig am Markt. Mal schauen, ob Samung oder Google nachziehen werden.
Über Drittanbieter Apps wie PodsBattery lässt sich der Akkustand auch unter Android auslesen, was ein paar Sekunden dauern kann. Es ist ein Notbehelf und unnötig kompliziert.
+ Einstellmöglichkeiten
Die Screenshots zeigen die Einstellmöglichkeiten der Airpods. Sie sind nicht mit Hörgeräten vergleichbar, bieten aber für den ersten Schritt von Apple in diese Richtung schon viele Möglichkeiten. Neben der Verstärkung selbst lassen sich Balance, Klangbild allgemein, Umgebungsgeräusche oder Sprachverstärkung verändern, auch jederzeit direkt über das Kontrollzentrum in IOS. Rudimentär lassen sich auch leise oder laute Geräuschen kontrollieren.
Für Tinitus Geplagte lassen sich Hintergrundgeräusche wie Rauschen, Regen, Wald, etc. abspielen. Dies kann helfen, von unangenehmen Ohrgeräuschen abzulenken.
+ Preis
Rund 240 € sind für In-Ear-Kopfhörer eine Stange Geld, insbesondere wenn man die Lebensdauer der Akkus bedenkt. Bei täglicher Nutzung werden Sie kaum 2 Jahre überstehen. Und trotzdem ist der Preis für das Gebotene fair. Für ein Apple Produkt geradezu günstig, wenn man die Leistung und den Funktionsumfang mit Mitbewerbern wie Sony, Bose Sennheiser und Anderen vergleicht. Ein Hörgerät bekommt man bei entsprechenden Hörverlust praktisch umsonst, aber die „Kassengeräte“ bieten oft kein Bluetooth zum Telefonieren und zur Audiowiedergabe. Interessant wird sein, ob Krankenkassen die Kosten für Airpods übernehmen, da diese ja zumindest in den USA schon eine Medizinzulassung haben.
– Optik & Baumform
Die weißen Zahnbürstenköpfe finde ich wenig ansprechend. Hörgeräte dürfen gerne auffällig sein und müssen sich nicht fleischfarbig hinter dem Ohr verstecken. Das Apple gerade dieses Gerät nur in weiß anbietet, finde ich sehr schade. Der Onlineshop Skinit bietet eine große Auswahl an Stickern, um die Airpods zumindest etwas persönlicher zu gestalten. Aber die Kritik gilt weniger dem weißen Gehäuse als der Baumform selber. Die Kugelform passt nicht optimal in jedes Ohr, unabhängig von den Silikontips. Die Anordnung der Mikrofone an der Außenseite macht die Airpods anfällig für Windgeräusche. Durch die Gewichtsverteilung neigen die Kopfhörer leichter aus dem Ohr zu fallen. Die oben erwähnten Silikonüberzieher mit Haltbügel lösen das Problem mit dem Herausfallen, sind aber nicht sehr praktisch, weil Sie zum Laden abgenommen werden müssen und nicht mit ins Case passen.
Mein Wunsch: Die Technik der Airpods in einem stylischen, auffälligen Hinter-dem-Ohr Gehäuse mit externem Lautsprecher. Dies würde mehr Tragekomfort, sicheren Halt, bessere Akustik und mehr Verstärkung (größer Abstand von Mikrofon zu Lautsprecher) bieten. Ganz nebenbei könnte die Akkukapazität für eine längere Laufzeit vergrößert werden. Und wie bei Hörgeräten, ein Wechselcovergehäuse. So könnte man nach Lust und Laune das Gehäuse anpassen und das Gerät zu einem „Schmuckstück“ machen.
Dran bleiben, der Beitrag wird fortlaufend ergänzt …
Klingt super spannend. Bin neugierig auf Deine Erfahrungen und bleibe dran.
Hey, danke für die Tipps. Die Seite mit den Stickern gefällt mir. Ist zwar total unwichtig, aber trotzdem nice, um die Airpods etwas schöner zu machen.
Ein sehr informativer und ausführlicher Bericht – vielen Dank, dass du dir diese Muhe gemacht hast. Auf die Updates bin ich gespannt!